Wissen
Eine lange Geschichte
Die Kenntnisse über Pflanzen spielte in der Menschheitsgeschichte eine wichtige Rolle. Es ist uns bekannt, dass die alten Assyrer, Chaldäer, Chinesen und Ägypter bereits vor 5000 Jahren Schulen für Kräuterkundige unterhielten. Die Völker im Mittelmeerraum begannen schon frühzeitig einheimische Gewürze und Kräuter zu sammeln. Der Mathematiker und Philosoph, Pythagoras von Samos, behauptete, dass Senfkörner den ersten Platz unter den elementaren Mitteln einnimmt, die direkt auf das menschliche Gehirn wirken. Sinngemäß formulierte er, dass Senf den Kopf frei mache.
Bei den Römern galten Pflanzenteile von der Senfpflanze als wirksames Mittel gegen Schlangenbiss, Haarausfall und Läuse.
Das erste nachweisliche Senfrezept erschien in der „De re rustica“ von Columella im Jahre 42 n.Chr.:
„Den sorgfältig gereinigten Samen lässt man zwei Stunden im Wasseraufweichen, nimmt ihn mit den Händen heraus und stößt ihn dann in einem neuen Mörser klein. Darauf zieht man die ganze zerriebene Masse in die Mitte des Mörsers zusammen, drückt sie fest, legt einige glühende Kohlen darauf, gießt mit Soda versetztes Wasser darüber, wodurch der bittere Geschmack beseitigt wird, gießt weißen, scharfen Essig hinzu, rührt die Masse um und seiht sie durch. Die so gewonnene Flüssigkeit ist vorzüglich zum Einmachen von Rüben geeignet.“
In den folgenden Jahrhunderten blieb es aber sehr ruhig um die Würzpaste Senf. Erst in Frankreich erwachte der Senf aus seinem Dornröschenschlaf. Besonders im Raum von Dijon kannte man im 13.Jahrhundertdie manufakturmäßige Produktion von Senf sehr gut. Im Jahre 1292 taucht in einem königlichen Verzeichnis das erste Mal der Senf auf. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 1336, als der Herzog von Burgund Odo IV. ein Bankett für den französischen König Philipp VI. gab. Aus der Abrechnung dieses Festes ergibt sich, dass 250 Liter Senf verbraucht wurden. Die späteren Herzöge gewöhnten sich dann sogar an, ihren Gästen ein Fass Senf als Abschiedsgeschenk auf den Weg zu geben.
So entstanden bereits im 13. Jahrhundert in und um Paris viele kleine Gewerke die Senf produzierten. Um 1300 existierten in Paris schon zehn „moutardiers“, also Senfmacher. Im 14. Jahrhundert begann der Senf langsam auch andere europäische Länder zu erobern. Nicht nur deshalb, sondern eher wohl wegen seiner vorzüglichen kulinarischen Eigenschaften ernannte der geschäfts- und handelstüchtige Papst Johann XXII.(1245/49- 1334) einen seiner Neffen zum Premier Moutardier du Pape, also zum Senfminister.
In Paris bildeten im 15.Jahrhundert die Senfverkäufer zusammen mit den Saucenhändlern, den Essigherstellern und Destillateuren eine eigene Zunft:
Sauciers-moutardiers-vinaigriers-destillateurs en eau de vie et esprit de vin et buffetiers. Nahe lag es, dass die Saucenhändler in dieser Zunft vertreten waren, denn der Senf wurde zu einer wichtigen Zutat für deren selbstgefertigten Saucen. Besonders unter der Regentschaft von König Ludwig XII. entfaltete sich diese Zunft. Es ist überliefert, dass er sich seinen „Senftopf“ immer nachtragen ließ, wenn er Einladungen zum Essen erhielt. In Deutschland dagegen setzte sich die vorrangige Verwendung der Senfkörner als Würzmittel weiter fort. In den folgenden Jahrzehnten schaffte dann auch hier der Senf als Würzpaste den Durchbruch, nicht nur in den gutgestellten Kreisen, sondern insbesondere bei den einfachen Menschen.
Im Mittelalter beherrschten die fremdländischen Gewürze die Küchen des Adels und derer, die sich diese sündhaft teuren Zutaten leisten konnten. Im Vergleich dazu war der einfache Senf ein für alle erschwingliches Würzmittel. Eine Kanne Senf kostete 1572 beispielsweise nur 2 Groschen. Für ein Pfund Muskat musste man schon sieben ausgewachsene Mastochsen hergeben.
Frankreichs östliche Nachbarn verspeisten jetzt relativ gewaltige Mengen der gelblich-braunen Würzpaste. Hauptsächlich wurde damit Fleischgerichte gewürzt. Der bevorzugte Senf diesseits des Rheines war aber auch der Dijonsenf. Zu einem weiteren, aber im Vergleich zu Frankreich doch kleineren Zentrums des „Senfkonsums“, entwickelte sich England im 16. und 17.Jahrhundert.
In seinem „Falstaff“ ließ William Shakespeare eine typisch englische Senfspezialität zu Ehren kommen – den Senf aus Tewkesbury, einer Kleinstadt 150 km nordwestlich von London. Die Körner wurden zusammen mit Erbsen vermahlen, vermischt, anschließend gedämpft und zu Kugeln gepresst. Anschließend trocknete man diese Kugeln an der Luft. Es war eine Art von Trockenkonserve, von der man bei Bedarf abbrach, um sie dann mit Rotwein, Buttermilch, Cidre, Essig, unvergorenen Apfel- oder Kirschsaft etc. zu verrühren.
In Frankreich nahm zur gleichen Zeit die Zahl der Senfmacher sprunghaft zu. So wirkten 1650 alleine in Paris über 600 „moutardiers“. Ludwig XIV. war vom Senf so fasziniert, dass er ihm ein eigenes königliches Wappen gab. Auf blauem Hintergrund ziert ein silberner Trichter dieses Wappen. Dafür hat jedoch eine kleine Stadt nördlich der französischen Hauptstadt ihre „inhaltlichen“ Spuren in der „Senfgeschichte“ hinterlassen – Meaux. Im Unterschied zum Senf aus Dijon ist dieser vor allem grobkörniger und wird mit Essig angesetzt.
Bald begann eine neue Richtung in der Senfproduktion. Dem „normalen“ Senf wurden weitere Gewürze beigezufügt. Besonders aus wohlhabenden Kreisen kam der Wunsch nach ausgefallenen Sorten. So konnte man damals beim ambulanten Pariser Moutardier nicht nur roten Senf, sondern auch mit Kapern, Champagner, Sardellen usw. kaufen. Im Jahre 1777 fertigten die Herren M.Grey und M.Poupon in Dijon einen kräftigen, kanariengelben Senf. Angesetzt mit Weißwein besaß er ein kräftiges Aroma und wurde in der Folgezeit zum Lieblingssenf von Napoleon.
Die Dijoner Senfindustrie erlebte um 1870 eine erneute Blütezeit. Damals existierten in der Stadt 39 Senffabriken. Zu den ersten Fabriken gehörte in Dijon das Unternehmen des Destillateurs und Essigproduzenten Antoine Maille.
In England begann eine neue Ära, die mit dem Namen von Mrs.Clement verbunden ist. Sie hatte damals die Idee, den Senf so zu mahlen, analog des Mahlvorganges beim Getreide. Bis dahin zerkleinerte man den Senf mit mehr oder weniger großen Mörsern. Nachdem sie für ihren Senf ein Patent erhalten hatte, reiste Mrs. Clement durch ganz England, um ihren Senf in den großen Städten bekannt zu machen. Der Vorteil bestand in einer schnellen Anrichtung des Senfes, was besonders für Kapitäne, Kaufleute und andere, sich ständig auf Reisen befindlicher Geschäftsleute von Vorteil darstellte. Nur knapp fünfzehn Minuten nach dem Anrühren war die Würzpaste fertig.
Mrs. Clements „Senfpulver“ war so berühmt geworden, dass es nicht lange dauerte bis es die ersten Nachahmer gab. Im Jahre 1742 imitierten die Herren Keen in London den Durham- Senf.
Im Jahre 1814 übernahm ein gewisser Jeremiah Colman eine wassergetriebene Mühle kurz vor den Toren von Norwich . Nicht nur, dass er die Senfsaat mit riesigen Mörsern zerstampfen ließ, sondern auch, in dem er die fertige Ware in alle möglichen Behältnisse abfüllte. Von Holzfässer über alle möglichen Büchsenformen, Flaschen und Steinkrügen reichte damals bei ihm die Angebotspalette. Ein Jahr später wurde der noch heute verwendete Stierkopf auf den unterschiedlichen Verpackungen gedruckt.
Fast unbemerkt von den französischen Senfherstellern, gründete ein gewisser Wilhelmus Theodorus 1726 in Düsseldorf die erste deutsche Senffabrik.
Erst rund 100 Jahre später entstand eine weitere deutsche Senffirma. Der gebürtige Lindauer J.C. Develey begann 1845 in München mit der Herstellung von Senf.
Die bekannten Firmen Kühne und Hengstenberg nahmen in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ihrer Senfproduktion auf. In diesen Zeitabschnitt fällt auch die Gründung einer weiteren Düsseldorfer Firma, die im Grund eigentlich eine französische ist. Im November 1903 gründeten Otto und Frieda Frenzel im lothringischen Metz die „Erste lothringische Essig- und Senffabrik“. Als nach dem verlorenen 1. Weltkrieg deutsche Staatsbürger die französische Stadt verlassen mussten, entschieden sich die Frenzels für als neuen Firmensitz.